WORIN BESTEHT DAS GLÜCK? Von Georg Grimm
Verfasst: So 30. Nov 2014, 04:18
WORIN BESTEHT DAS GLÜCK?
Von Georg Grimm
In der Praxis hängt alles davon ab, dass das durch die praktische Arbeit zu
erreichende Ziel möglichst deutlich aufgezeigt wird. Ein unbekanntes Ziel kann
man überhaupt nicht erstreben. Es wäre gerade so, wie wenn einer einen Turm
besteigen wollte, den er in keiner Weise wahrnimmt (Dgh. 9). Und auch ein
bekanntes Ziel kann man nur ernstlich erstreben und erreichen, wenn es nicht
nur allgemein, sondern so genau bekannt ist, dass man seinen eigentlichen
Kern wahrnimmt:
Das Endziel alles menschlichen Strebens ist das Glück.
Aber ein so unbestimmt umschriebenes Ziel bietet noch keinerlei Handhabe zu
seiner Verwirklichung. Die Frage ist vielmehr, worin denn nun eigentlich das
Glück bestehe.
Etwas deutlicher wird die Richtung des Zieles schon, wenn man sagt, Glück sei
jener Zustand, worauf mein Wille geht. Aber auch das genügt noch nicht.
Wirkliches Glück ist nur die dauernde Willensbefriedigung. Das geht so weit,
dass dieses Erfordernis der Dauer geradezu mit dem ewigen Glück
zusammenfallen müsste, wenn es unseren Willen vollkommen soll befriedigen
können: Auch wenn ich einem Menschen ein einzig von wohligen
Empfindungen durchglühtes Leben von ungezählten Billionen von Jahren
ermöglichen könnte, so würde doch, wenn nach Ablauf dieser ungeheueren
Lebensdauer der Tod an ihn heranträte, der Schmerz über den dann
eintretenden Untergang jenes Lebens der Wonne mit derselben Wucht über ihn
hereinbrechen, als ob er es nur zwanzig Jahre hätte auskosten können.
Der Mensch verlangt also, mit anderen Worten, dass der Zustand, worauf sein
Wille geht, schlechterdings nicht mehr aufhöre, also eben das sei, was wir ewig
nennen. Darüber kann ein Zweifel doch wohl nicht bestehen. Auch der
"aufgeklärteste" moderne Naturwissenschaftler, für den es eine ausgemachte
Sache ist, dass er mit dem Tode der Vernichtung anheimfällt, wird diese
vermeintliche Tatsache doch nur notgedrungen hinnehmen. In dem Momente,
wo man ihm, für ihn unfassbar, einen Weg zeigen könnte, dem Tode zu
entgehen, würde fraglos auch er mit beiden Händen zugreifen. Das macht aber
1 Erschienen im 3. Kapitel von „Die Wissenschaft des Buddhismus“, S. 180-182
doch offensichtlich, dass tief im Wesen jedes Menschen der Wunsch, ja, die
Sehnsucht nach einem Zustand haust, der, im Übrigen als angenehm erkannt,
todlos und damit ewig ist. Gibt es einen, der das im Ernste zu bestreiten wagte?
Damit haben wir also die Tatsache, dass die Sehnsucht nach einem solchen
todlosen Zustande als Ausfluss des menschlichen Wesens zu betrachten ist.
Denn was in allen Menschen der Vergangenheit, der Gegenwart und der
Zukunft in allen Lagen gleichmäßig haust, das muss doch wohl der Ausfluss
ihres Wesens sein. Das allein sollte den Herren modernen Naturalisten zu
denken geben: Die Sehnsucht nach einem ewigen, todlosen Zustand bildet
einen Ausfluss unseres Wesens. Wäre das möglich, wenn wir nicht selbst ewig
wären? Wie sollte aus einem wesenhaft Vergänglichen eine Sehnsucht nach
dem Ewigen hervorwachsen können? Einem wesenhaft Vergänglichen müsste
das Ewige doch wesenswidrig und deshalb auch widerwärtig, ja schrecklich
sein! Damit steht aber fest, dass das eigentliche Endziel jedes Menschen ein
todloser Zustand ist, in welchem man keinerlei Unangenehmes erfährt.
Doch auch diese Fixierung unseres Endzieles als eines todlosen Zustandes
innerster Selbstbefriedung genügt noch nicht. In dieser Form ist das Endziel
allen Religionen mehr oder weniger bekannt. Es ist noch eine nähere
Bestimmung der Art dieser Selbstzufriedenheit nötig! Wer ewiges Leben
erstrebt, hat ein ganz anderes Endziel, als wen es nach ewiger Ruhe gelüstet.
Beide Ziele zwar mögen an sich des Erstrebens wert erscheinen. Aber sie
unterscheiden sich wesentlich dadurch voneinander, dass das eine dieser
beiden Ziele, das ewige Leben, weil alles Leben wesenhaft an Materie
gebunden ist und daher deren Schicksal, die Vergänglichkeit, teilt, in sich
unmöglich, während das andere Ziel, die ewige Ruhe, gar wohl erreichbar ist:
ich darf mich eben bloß ruhig verhalten. Der Christ hat als Endziel das ewige
Leben, das Endziel des alten Indien war bereits vor dem Buddha "die ewige
Stätte heiliger Ruhe".
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Von Georg Grimm
In der Praxis hängt alles davon ab, dass das durch die praktische Arbeit zu
erreichende Ziel möglichst deutlich aufgezeigt wird. Ein unbekanntes Ziel kann
man überhaupt nicht erstreben. Es wäre gerade so, wie wenn einer einen Turm
besteigen wollte, den er in keiner Weise wahrnimmt (Dgh. 9). Und auch ein
bekanntes Ziel kann man nur ernstlich erstreben und erreichen, wenn es nicht
nur allgemein, sondern so genau bekannt ist, dass man seinen eigentlichen
Kern wahrnimmt:
Das Endziel alles menschlichen Strebens ist das Glück.
Aber ein so unbestimmt umschriebenes Ziel bietet noch keinerlei Handhabe zu
seiner Verwirklichung. Die Frage ist vielmehr, worin denn nun eigentlich das
Glück bestehe.
Etwas deutlicher wird die Richtung des Zieles schon, wenn man sagt, Glück sei
jener Zustand, worauf mein Wille geht. Aber auch das genügt noch nicht.
Wirkliches Glück ist nur die dauernde Willensbefriedigung. Das geht so weit,
dass dieses Erfordernis der Dauer geradezu mit dem ewigen Glück
zusammenfallen müsste, wenn es unseren Willen vollkommen soll befriedigen
können: Auch wenn ich einem Menschen ein einzig von wohligen
Empfindungen durchglühtes Leben von ungezählten Billionen von Jahren
ermöglichen könnte, so würde doch, wenn nach Ablauf dieser ungeheueren
Lebensdauer der Tod an ihn heranträte, der Schmerz über den dann
eintretenden Untergang jenes Lebens der Wonne mit derselben Wucht über ihn
hereinbrechen, als ob er es nur zwanzig Jahre hätte auskosten können.
Der Mensch verlangt also, mit anderen Worten, dass der Zustand, worauf sein
Wille geht, schlechterdings nicht mehr aufhöre, also eben das sei, was wir ewig
nennen. Darüber kann ein Zweifel doch wohl nicht bestehen. Auch der
"aufgeklärteste" moderne Naturwissenschaftler, für den es eine ausgemachte
Sache ist, dass er mit dem Tode der Vernichtung anheimfällt, wird diese
vermeintliche Tatsache doch nur notgedrungen hinnehmen. In dem Momente,
wo man ihm, für ihn unfassbar, einen Weg zeigen könnte, dem Tode zu
entgehen, würde fraglos auch er mit beiden Händen zugreifen. Das macht aber
1 Erschienen im 3. Kapitel von „Die Wissenschaft des Buddhismus“, S. 180-182
doch offensichtlich, dass tief im Wesen jedes Menschen der Wunsch, ja, die
Sehnsucht nach einem Zustand haust, der, im Übrigen als angenehm erkannt,
todlos und damit ewig ist. Gibt es einen, der das im Ernste zu bestreiten wagte?
Damit haben wir also die Tatsache, dass die Sehnsucht nach einem solchen
todlosen Zustande als Ausfluss des menschlichen Wesens zu betrachten ist.
Denn was in allen Menschen der Vergangenheit, der Gegenwart und der
Zukunft in allen Lagen gleichmäßig haust, das muss doch wohl der Ausfluss
ihres Wesens sein. Das allein sollte den Herren modernen Naturalisten zu
denken geben: Die Sehnsucht nach einem ewigen, todlosen Zustand bildet
einen Ausfluss unseres Wesens. Wäre das möglich, wenn wir nicht selbst ewig
wären? Wie sollte aus einem wesenhaft Vergänglichen eine Sehnsucht nach
dem Ewigen hervorwachsen können? Einem wesenhaft Vergänglichen müsste
das Ewige doch wesenswidrig und deshalb auch widerwärtig, ja schrecklich
sein! Damit steht aber fest, dass das eigentliche Endziel jedes Menschen ein
todloser Zustand ist, in welchem man keinerlei Unangenehmes erfährt.
Doch auch diese Fixierung unseres Endzieles als eines todlosen Zustandes
innerster Selbstbefriedung genügt noch nicht. In dieser Form ist das Endziel
allen Religionen mehr oder weniger bekannt. Es ist noch eine nähere
Bestimmung der Art dieser Selbstzufriedenheit nötig! Wer ewiges Leben
erstrebt, hat ein ganz anderes Endziel, als wen es nach ewiger Ruhe gelüstet.
Beide Ziele zwar mögen an sich des Erstrebens wert erscheinen. Aber sie
unterscheiden sich wesentlich dadurch voneinander, dass das eine dieser
beiden Ziele, das ewige Leben, weil alles Leben wesenhaft an Materie
gebunden ist und daher deren Schicksal, die Vergänglichkeit, teilt, in sich
unmöglich, während das andere Ziel, die ewige Ruhe, gar wohl erreichbar ist:
ich darf mich eben bloß ruhig verhalten. Der Christ hat als Endziel das ewige
Leben, das Endziel des alten Indien war bereits vor dem Buddha "die ewige
Stätte heiliger Ruhe".
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